Deutsch-Polnische-Arabische Begegnung

Am 19.-23.09.2016 habe ich ein interkulturelles Training für das deutsch-polnische Jugendwerk, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Migrations- und Aussiedlerfragen und dem Rotary Club Lübbecke/Westfalen, gegeben. Unter dem Motto „Projekt TeamWork. Lernen- voneinander.miteinander.übereinander“ haben zwei polnische Kolleginnen und ich das Seminar durchgeführt. In erster Linie sollen sich dabei Deutsche und Polen zwischen 20 und 30 Jahren begegnen und die kulturellen Eigenheiten kennenlernen. Klassische Seminareinheiten wechselten sich mit informellen Lernphasen ab (Gruppen- und Projektarbeit, Kulturabend). Wir haben uns thematisch mit interkultureller Kommunikation (Wahrnehmungsschemata, Stereotypen, Kulturstandards), nonverbaler Kommunikation und Konfliktumgang im interkulturellen Kontext beschäftigt.

Was mich in dieser Woche besonders gefesselt hat, war der dritte Kultureinfluss: der Orient. Wir hatten einen Ägypter dabei, der heute Elektrotechnik in Ulm studiert, sowie einen Tunesier, der in Tunis Germanistik studierte und nun in Sachsen-Anhalt als Übersetzer arbeitet. Zudem waren zwei syrische Flüchtlinge bei uns, beide sind erst seit einem Jahr in Deutschland und im Raum Bielefeld untergebracht. So wurde aus der ursprünglich bi-nationalen Begegnung eine bunte Mischung, in der wir alle sprachlich, kulturell und zwischenmenschlich viel lernen konnten.

Mir wurde zum einen bewusst, welche direkte Folgen Politik hat: Auf meinen Zugreisen beobachte ich immer wieder Kinder, die  mit ihren neuen geflohenen Freunden zum Fußballtraining fahren. Oder ältere Menschen, die nachfragen und Flüchtlingen den Weg am Handy zeigen. Oder Migranten der 2. oder 3. Generation, die wie selbstverständlich mit den Zugezogenen abhängen. In Deutschland wird durch die Flüchtlingsaufnahme immer deutlicher, dass wir ein Einwanderungsland sind – mit allen Chancen von bereichernder Diversität bis hin zu wirtschaftlichen Wachstum. Und mit allen Herausforderungen wie Ängste (siehe AFD) und Werteunterschiede. Polen hat in der gleichen Zeit ganze zwei Flüchtlingsfamilien aufgenommen, für die polnische Gesellschaft ist die Bürgerkriegstragödie weit weniger ein Thema und dementsprechend waren auch im Seminar die Kenntnisse über Leben und Kultur des arabischen Raumes marginal.

Interkulturelles Lernen: Irritation gehört dazu!

Auf der anderen Seite konnte ich durch das Training erleben, wie wir unsere interkulturelle Kompetenz spielerisch erweitern. Indem wir uns unser Wertesystem bewusst machen. Offen, neugierig und emphatisch das Neue ergründen und uns bewusst werden, dass Empfindungen über „richtig“ und „falsch“ durch Erziehung und Sozialisation beeinflusst werden. Spannende Momente hatten wir etwa, als ich abstrakte Begriffe wie Liebe, Einsamkeit oder Freundschaft pantomimisch darstellen habe lassen. So spielten die arabischen Teilnehmer eine Sisha-Szene nach, weil das in ihrem Kulturkreis der Inbegriff von gesellschaftliches Zusammenkommen ist. Wir Europäer haben eine ganze Weile gebraucht, um auf den gesuchten Begriff „Spaß“ zu kommen. Ich schätze die Deutschen hätten eher eine Party gespielt. Zu heftigen Diskussionen kam es dann in einer Simulation, in der wir die Unterschiede zwischen Beobachtung und Interpretation übten. Die von den Frauen in der Übung getragenen Kopftücher wurden hinterfragt, denn es kam der Verdacht auf, dass damit  auf die muslimische Religion verunglimpfend abgezielt wurde. Gleiches Irritationspotential konnte ich erzeugen, als ich in einer Übung eine Geschichte vorlas, in der es um sexuelle Enthaltsamkeit, Treue und Vertrauen ging. Auch hier wurden die Moralität der verschiedenen Personen sehr unterschiedlich wahrgenommen.

Meine Flucht – eine Dokumentation aus der Handyperspektive

Ein besonders eindrücklicher Moment war für mich, als Mohammed – einer der zwei teilnehmenden syrischen Flüchtlinge – die Dokumentation „My Escape / Meine Flucht“ vorstellte, in der er mitwirkte. Neben anderen Flüchtlingen aus Afghanistan, Eritrea und Somalia hatte er seine beschwerliche Flucht über die Türkei, dem Mittelmeer nach Griechenland und die Balkanroute selbst festgehalten. Mit anderen Fluchtgeschichten, teils über die sozialen Medien aufgestöbert, hat der WDR und Deutsche Welle daraus die Dokumentation gemacht. Durch die Perspektive der Handyvideos fühlten wir uns tatsächlich so, als waren wir bei der Flucht mit dabei. Sogar die Verhandlungen mit den Schleusern sind dokumentiert, mit in Kleidung versteckten Handys unter Lebensgefahr verfilmt. Oder wie das völlig überfüllte Schlauchboot zu kentern drohte.  Ein wichtiger Film zur richtigen Zeit. Momentan ist Mohammed mit seinen Mitstreitern auf einer Fahrradtour nach Berlin, um den Film vorzustellen und Aufmerksamkeit für die Flüchtlingslage zu wecken.

Mein Fazit: Durch Kommunikation und Begegnung lernen wir, die Sicht des Anderen besser zu verstehen und auch bei Uneinigkeit zu respektieren. Daher, schaut euch den Film an!

 

Vor allem […] musst du einen ganz einfachen Trick lernen, dann wirst du viel besser mit Menschen aller Art auskommen. Man kann einen anderen nur richtig verstehen, wenn man die Dinge von seinem Gesichtspunkt aus betrachtet. Ich meine, wenn man in seine Haut steigt und darin herumläuft. – Harper Lee (in „Wer die Nachtigall stört“, 1960)