In der Süddeutschen Zeitung war am 17./18. September 2016 ein Artikel über den Cellisten Yo-Yo Ma zum Kinostart seines Filmes „The Music of Strangers“.

Kultur heißt nicht, Traditionen zu konservieren sondern sie weiterzuentwickeln. Und gerade an diesen Nahtstellen zwischen unterschiedlichen Kulturen entstand schon immer viel Neues – Yo Yo Ma

2013 konnte ich Yo-Yo Ma live erleben in der Berliner Philharmonie. Es war ein wundervoller Abend, an dem zu jeder Zeit klar war, dass das komplette Ensemble dem Stargast zuarbeitete. Ein Solo folgte dem anderen und mir schien, dass selbst der Dirigent sich zurückhielt,  um Mas Interpretationen Raum zu geben. Dennoch konnte ich keine Starallüren erkennen, er lenkte beim Applaus den Fokus bewusst  auf einzelne Künstler des Ensembles.

Diese Bescheidenheit finde ich vorbildlich und wurde im besagten Zeitungsartikel bestätigt, da Ma sich wohl desöfteren bei Aufführungen in die zweite Reihe setzt, um anderen Cellisten die Glanzrolle zu überlassen. Ein Star, der würdigt, dass das Team ihn erst glänzen lässt, ist ein wahrer Teamplayer. Ein weiterer Aspekt, der mir bisher unbekannt war, ist: Ma`s interkulturelle Intelligenz. Er hat ein Benefizkonzert gegeben für Flüchtlinge in München, bei dem er sich auf Augenhöhe zu den Zuhörern stellte und ihnen zunächst die europäischen Musikinstrumente und das für afrikanische Ohren fremde System in Dur und Moll vorstellte.

Die universale und verbindende Sprache durch Musik hat Yo Yo Ma schon Ende der Neunziger Jahre umgesetzt, als er anfing mit dem Silk Road Ensemble moderne und traditionelle Instrumente und Rhythmen aus Vorder- und Hinterasien bis China zu vereinen. Der kürzlich erschienene Dokumentarfilm „The Music of Strangers“ ist ein eindrucksvolles Zeugnis dieses interkulturellen Austausches. Absolut sehenswert!

Alles beginnt mit einem Stück, das einer von uns mitbringt. Dann müssen wir so etwas wie musikalisches Vertrauen aufbauen. Wenn wir beispielsweise eine persische Tonleiter nehmen, dann ist sie für einen klassischen Pianisten zunächst einmal verstimmt. Der Schritt von verstimmt zu „Das ist ja wunderschön“ ist dann so etwas wie ein gleichzeitig musikalischer und emotionaler Schalter, den wir finden müssen. Das ist Vertrauen, als ob man einen Wildfremden zu sich nach Hause einlädt, weil einem das Bauchgefühl sagt, dass das funktioniert.

 

 

Ich war am Wochenende seit Langem mal wieder im Urwald unterwegs. Leider nicht in den lianenbewachsenen Mangrovenwälder Vietnams, aber auch Deutschland besitzt faszinierende Waldgebiete, ganz ohne menschliche Einwirkung. Hier sieht man eindrücklich, wie „wild“ ein echter deutscher Wald aussieht. Mein Tipp: Eine Moutainbikefahrt im Urwaldsteig Edersee über Stock und Stein, auf umgefallenen Bäumen balancierend, durch dichte Rotbuchentäler! Das ist Natur und Abenteuer pur – inmitten von Hessen.

Ich war diesmal aber nicht zum Urlaub hier. Im Nationalpark Kellerwald und westlich vom Edersee gelegen, hat die Sportjugend ein Erlebniscamp inklusive Kanubucht, Kletterpark und Bogenschießanlage errichtet. Diesmal führte ich mit 6 anderen Kollegen ein Teamtraining durch. Unser Kunde war eine Zahnarztgemeinschaftspraxis, an drei Standorten und mit rotierenden Ärzten arbeitend, aber unter einer gemeinsamen Führung mit zentraler Verwaltung und angeschlossenem Labor. 50 Personen waren da, also bestehen Parallelen zu einem mittelständigen Unternehmen. Was kann die naturnahe Erlebnispädagogik diesen Stadtmenschen geben?

Der Trainingstag war detailliert durchgeplant. Unser Ziel war, dass die einzelnen Mitarbeiter sich mehr mit der Gesamtinstitution identifizieren, Verständnis für die besonderen Gegebenheiten der einzelnen Zahnarztpraxen entwickeln und die Eigenheiten von den weniger vertrauten Kollegen kennenlernen. Daher wurde die Mannschaft in Gruppen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen geteilt. Ich führte Team Banane an und schickte sie in meiner Station durch das Spinnennetz, eine klassische erlebnispädagogische Übung. Hierbei muss das Team seine Leistungsfähigkeit realistisch einschätzen, denn die Teilnehmer überqueren im Team nacheinander ein Seilgeflecht. Da wie beim heißen Draht jede Berührung bestraft wurde, war Geschicklichkeit, Koordination und im wortwörtlichen Sinne Sich-aufeinander-stützen erforderlich. So wurde der Vormittag mit einer Reihe von Kletter- und Vertrauensübungen, Geschicklichkeits- und Teamspielen verbracht, die für die eigentliche Aufgabe am Nachmittag vorbereiteten – dem Seifenkistenbau.

Die Praxisgemeinschaft wurde in vier Abteilungen eines Automobilherstellers eingeteilt. Es wurden 4 Modelle gebaut: Jeep, Kombi, Cabrio und Sportwagen. Am Ende sollte jedes Auto einzigartig designt sein, zudem gab es eine Enthüllungsshow und den TÜV-Test. Gekrönt wurde dies mit dem Zeitrennen. Jedes Team hatte zunächst die Aufgabe, Arbeitsrollen wie Cheftechniker, Gruppenleiter, Marketing oder Einkauf zu besetzen. Dazu gab regelmäßige Meetings für die Führungs- oder Fachabteilungen und jede Besorgung, ob Schraube, Farbe oder Stoffe musste mit dem am Vormittag verdienten Spielgeld gekauft werden. Am Ende, nachdem die Seifenkistenmodelle unter Zeitdruck konstruiert und präsentiert wurden, stand der Wettkampf an. Ein Rennen um jede Hundertstelsekunde, sogar mit halsbrecherischem Überschießen der Ziellinie. Eine der Motorhauben fiel der Gartenbestuhlung zum Opfer – Firmenlogo (natürlich ein Zahn) kaputt, aber Podest erklommen! Die obligatorische Siegerehrung mit Sektregen wurde dadurch erst recht zum großen Spaß für alle.

In der allgemeinen Heiterkeit schaue ich mit einem schmunzelnden Auge auf die Menge. Vordergründig bereiteten wir einer Ärztegruppe ein schönes Unterhaltungswochenende. Hinter dem Spaß steht jedoch ein pädagogisches Konzept, das den Teilnehmern neue Kompetenzen verleiht. Da ist die Organisation mit Ärzten, Arzthelfern, med.-techn. Assistenten und Labortechnikern, für die Themen wie Vertrauen, Qualitätssicherung, Zuverlässigkeit und Arbeitsmotivation sehr wichtig sind. Durch eine handlungsorientierte Simulation wird schnell deutlich, wo Lernbedarf besteht. Da fordert ein Chef kreative Lösungsideen von seiner Mannschaft, merkt aber nicht, dass er durch seine Dominanz und Redeanteil eine produktive wie kreative Beteiligung seiner Untergebenen unterbindet. Da lernt ein Zahntechniker, dass die Rolle des Technikchefs das Delegieren und Motivieren seiner Hilfstechniker beinhaltet und wie schnell man selbst durch eine neue Aufgabe überfordert ist. Da muss ein anderer Teamchef feststellen, dass die Menge an Aufgaben ohne richtige Priorisierung die ganze Mission gefährdet und viel Zeit z.B. in Meetings vergeudet wird. Und manch einer merkt, dass die anfangs von ihm gewählte Rolle am Ende gar nicht zu seinen Stärken passt. Wer mag schon vor einer Gruppe ein Verkaufsgespräch führen, wenn er lieber lackieren möchte? Eindrucksvoll fand ich, wie positiv sportlicher Ehrgeiz sich auswirkt, denn Anerkennung und Bewunderung sind für uns zwei sehr hohe Motivationsanreize. Natürlich sollte es auch hier Grenzen geben, denn sonst führt Siegermentalität zum ausschließenden Abteilungsdenken, das zu Lasten der gemeinsamen Firmenidentität geht. Dies wiederum ist gelebter Alltag vieler Firmen, wenn man das große Ganze aus den Augen verliert.
Es war ein schöner Tag. Erlebnispädagogik, davon bin ich überzeugt, ist wirksam durch seinen Ernstcharakter und der besonderen Lernumgebung. Realitätsnahe Simulationen, wenn auch nicht am beruflichen Kontext orientierend, geben den Teilnehmern die Möglichkeit, Fähigkeiten auszuprobieren und Werte zu überdenken. Und wenn in einer Diskussion über Fehlerkultur konkrete Maßnahmen für eine vertrauensvollere Zusammenarbeit entstehen, hier durch ein anonymisiertes Fehlermeldesystem für die Kronenherstellung, dann bin ich sehr zufrieden mit der Lernmethode.

Herzlichts,

Euer Minh

Im vergangenen Jahr sind 80 000 Flüchtlinge nach Hessen gekommen, in ganz Deutschland waren es über 1 Millionen Menschen. Kanzlerin Merkel gab angesicht der unklaren Lage zu dieser Zeit das Motto heraus: „Wir schaffen das!“

Heute ist die Zahl der Neuankömmlinge deutlich gesunken, so waren es im August 2016 noch rund 1500 in Hessen. Viele Erstaufnahmestellen sind wieder geschlossen, keine Darmstädter Turnhalle muss als Notunterkunft mehr benutzt werden. Ich will hier nicht lang diskutieren, warum die Asylanträge sinken. Natürlich liegt es mit an der Schließung der Grenzen im Balkan und der Türkei. Wir wissen aber auch, dass die Bürgerkriege in Syrien und Afghanistan, die politische Verfolgung in Erithrea und Somalia weiterhin andauern. Mit der „Normalisierung“ der Lage hierzulande nimmt auch die Präsenz in den Medien ab, abgesehen von den Zwischenbilanzen zum Jahrestag von Merkels Rede.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie die Welcome-Kultur zu Beginn der Flüchtlingskrise allerorts präsent war. Züge voller Neuankömmlinge trafen auf eine Bahnhofshalle voller Helfer. Die Kleidersammlung nahm schon bald wegen Überfüllung keine Spenden mehr an und die Stadt konnte am Ende nicht allen Freiwilligen ein sinnvolles Einsatzgebiet zuteilen. Die Anteilnahme der Bevölkerung war einfach großartig und bewegend. Und Zuversicht erlebten wir auch auf den öffentlichen Festen, sogar die BBC berichtete über Darmstadts offenherzigem Welcome-Party und Deutschlands optimistischer Gelassenheit gegenüber der Herausforderung.

Heute sind die Probleme andere – es geht nicht mehr um die Bereitstellung von Grundnahrungsmittel und Winterkleidung. Die Erstversorgung haben wir geschafft, ich finde, das für 1 Millionen Menschen zu schaffen ist eine tolle Leistung! Integration dauert aber sehr viel länger, manche sagen 10-15 Jahre. Aus eigener Sicht und am eigenen Leib kann ich sagen, dass es auf jeden Fall kein leichter Prozess ist. Für beide Seiten nicht.

Da sind die Behörden, die mit der Bearbeitung der Anträge nicht nachkommen, da sind die Schulen, die nicht genug Geld und Sprachlehrer bekommen und da sind die Firmen, die nur qualifizierte Arbeitskräfte mit Arbeitspapieren einsetzen können. Jetzt stell Dir die andere Seite vor: Selbst wenn Du keinen offenen Fremdenhass begegnen solltest, wie fühlst Du dich wohl, wenn Du nach Monaten oder selbst Jahren in der Fremde nicht selbstständig sein kannst? Weil Du dein Leben nicht selbst in die Hand nehmen kannst? Weil Du nicht weißt, ob Du überhaupt bleiben darfst, weil Du nicht weißt, ob Du deinen erlernten Job nachgehen wirst oder umlernen musst und weil Du nicht weißt, was mit Deiner Großfamilie passiert und ob Du sie jemals wieder sehen wirst.

Unsicherheit ist das Gefühl, das meine Seminarteilnehmer als sehr unangenehm zurückmelden, zum Beispiel nachdem ich sie in eine schwierige Simulation bringe und meine Instruktionen bewusst wage halte. Damit üben wir das Zurechtkommen mit komplexen, uneindeutigen Problemen. Wenn es aber um existenzielle Unsicherheit geht, müssen wir gegensteuern. Denn wer zu ängstlich ist, zu verwirrt oder belastet, der kann weder lernen noch sich friedlich verhalten. Insofern sind die Bemühungen um Spracherwerb, Schulbesuch, Praktikavergabe und Jobeingliederung der richtige Weg, damit Flüchtlinge Verantwortung für sich selbst tragen können. Dass es dabei auch Probleme im Detail gibt, habe ich heute in der Hessenschau gelesen.

Wir müssen also gerade Kindern so schnell wie möglich eine Struktur geben durch Schulbesuch und gerelgeltem Alltag. Schließlich besteht das Leben (zum Glück) nicht nur aus Arbeit. Da geht es bei unseren Bemühungen auch um – in schönem Verwaltungsdeutsch – sozialer Teilhabe. Das sind alle gesellschaftlichen Aktivitäten von Sportverein bis zum Gottesdienst. Gerade entwickle ich zusammen mit meinen Arbeitskollegen ein experimentelles Projekt, das Flüchtlingskindern durch Theater- und Kommunikationstraining ein spaßiges Freizeitangebot gibt – und zugleich ihre Sprach- und Verständigungsfähigkeiten trainiert. Wie das Ganze im Detail aussehen und ob es von Erfolg gekrönt sein wird, davon werde ich hier bald berichten.

Zusammenfassend kann ich Eines sagen: Zumindest in meinem Umfeld merke ich das starke Engagement weiterhin. Ob es die pensionierte Richterin ist, die nun in ihrer freien Zeit Rechtsberatung gibt oder die Unidozentin, die abends einem depressiven Jugendlichen beisteht oder der Student, der seine Semesterferien freiwillig im Flüchtlingscamp in Griechenland verbringt. Natürlich engagiert sich längst nicht jeder, aber jedes aktive Helfen, jeder ehrenamtlicher Behördengang oder gegebene Deutschstunde berührt mich im Herzen und so freue ich mich, bald meinen kleinen Beitrag dazu zu geben.

Herzlichts,
euer Minh